Lebenslinien #2 – Zurück im Leben

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Es war erst eine Woche her, dass mein angeborener Herzfehler wieder Thema in meinem Leben wurde. Eine Herzkatheterintervention war geplant. Der Eingriff war nicht ohne. Hoffnungsvolle Begegnungen und Ermutigungen halfen mir, meine Sorgen und Ängste zu überwinden und optimistisch zu bleiben.

Arzt: Wir müssen die Aorta zweimal punktieren.

Ich: Das klingt gefährlich.

Arzt: Das IST gefährlich.

Arzt: Es kann zu Blutungen kommen. Dann müssen wir sofort operieren. Brustschnitt. Wir bereiten parallel alles für eine OP am offenen Herzen vor. Dann kann es auch lebensgefährlich werden. Ihr Herz ist sehr schwach.

Arzt: Wir haben das bisher einmal gemacht. Aber wir haben Ähnliches schon oft gemacht.

Eben noch haben wir uns über die Warterei aufgeregt. Jetzt waren wir still. Sehr still. Mein Mann und ich. Das ging gerade um mich. Um meine angeborene Engstelle im Aortenbogen, die ja eigentlich als Kind erweitert wurde. Aber nicht genug. Nun muss die Aorta zweispurig ausgebaut werden. Das Röhrchen, das man mir damals eingesetzt hatte, kann man nicht aufpumpen wie die genialen Stents heute. Deshalb die Umleitung drumherum. Die Ärzte nennen den Eingriff gar nicht OP, sondern eine Intervention, die per Herzkatheter vorgenommen wird. Für mich fühlte es sich aber sehr nach OP an.

Es war Freitag vor dem Pfingstwochenende. Nach meinem Untersuchungsmarathon im Münchner Herzzentrum eine Woche zuvor kam ziemlich schnell der Anruf für einen Termin zur Intervention. Wir wollten doch nach Wien! Wir hatten schon Zugtickets gekauft. Die zweite Reise, die ich absagen musste.

In meinem ersten Beitrag meiner neuen Rubrik Lebenslinien habe ich angefangen, meine persönliche Geschichte zu erzählen, da mich die Krankheiten meiner Kindheit und Jugend wieder eingeholt hatten. Das waren die Gründe, warum ich nun zur Herzkatheterintervention ins Herzzentrum musste.

Der Eingriff war für Dienstag nach Pfingsten geplant. Deshalb musste ich bereits am Freitag für Voruntersuchungen und das Aufklärungsgespräch einen langen, halben Tag auf der Kinderstation im Herzzentrum verbringen. Ja, Kinderstation. Inzwischen ist das eine Station für Kinder und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Die Kinder sind inzwischen groß geworden.

Die können das!

Nach sechseinhalb Stunden durften wir endlich gehen. Nichts wie raus. Das musste ich laut gesagt haben. Mit uns am Fahrstuhl wartete eine der Kinderkrankenschwestern. Teilnahmsvoll erkundigte sie sich, was den gemacht werden sollte. Im Fahrstuhl schilderte ich ihr kurz die Situation. Aufmerksam und offen sah sie mich an und sagte zutiefst überzeugt: Die können das! Ich verstehe Ihre Ängste. Aber atmen Sie ein und aus und schicken Sie all Ihre Sorgen dem lieben Gott.

Die können das! Das wurde mein Mantra die nächsten Tage. Auch mein Mann war nach der Begegnung nicht mehr ganz so schwermütig. Die Dame hat mir so viel Angst genommen mit ihren Worten. Unser Engel! Das hatten wir genau jetzt gebraucht!

Auch liebe Freunde haben mich mit ehrlichen und Mut machenden Worten die Tage bis zur OP begleitet. Dorothee, lass es laufen. Hab Vertrauen. Lass die Docs ihre Arbeit machen und dein Herz wieder heile machen. Solche Worte einer Freundin haben mir unendlich gutgetan.

Paralleluniversum Krankenhaus

Der Termin wurde auf Mittwoch verschoben. Einer der weltweit führenden Kardiologen auf diesem Gebiet sollte beim Eingriff dabei sein. Die können das! Das war ungemein beruhigend, dass sich absolute Koryphäen auf ihrem Gebiet um mich kümmern würden. Trotzdem schossen mir immer wieder die Worte des Aufklärungsgesprächs durch den Kopf.

Wir lenkten uns so gut es ging über Pfingsten ab und feierten den Geburtstag meines Mannes ganz leise mit einem Ausflug an den Tegernsee.

Dienstagmittag zog ich mal wieder eine Wartenummer zur Patientenaufnahme. Auf der Kinderstation wurde mir ein Bett in einem Dreibettzimmer zugewiesen. Nun gut. Das eine Bett sah aus, als ob es nicht benutzt werden würde. Durch bunt bemalte Fensterscheiben konnte man in das danebenliegende Dreibettzimmer schauen.

Ich hatte meine kleine Tasche ausgepackt und beruhigte mich einigermaßen mit einem Krimi. Schon bald wurde meine Zimmernachbarin nach ihrem Herzkatheter ins Zimmer geschoben. Es war eine junge Frau mit Down Syndrom. Sie war sehr unruhig, wollte aufstehen, obwohl sie ruhig liegen bleiben musste, riss sich die EKG-Verkabelung ab. Sie jammerte und schrie. Die Tür blieb offen und rund um die Uhr musste eine Schwester aufpassen.

Ich packte das nicht. Selbst voller Angst und wahnsinnig nervös, nahm mich das Geschehen total mit und überforderte mich. Ich bat, das Zimmer wechseln zu dürfen. Es sei nichts frei. Ich floh nach unten in die Cafeteria und überlegte, ein Einzelzimmer selbst zu zahlen. In der Patientenaufnahme wurde mir gesagt, dass das nur möglich sei, wenn es ein freies Zimmer gäbe. Auf der Station nahm eine andere Schwester meine unfassbare Nervosität und meine Ängste ernst und auf einmal konnte ich doch in ein Zweibettzimmer wechseln.

Das war das erste Mal, dass ich jemanden kennenlernte, der auch eine angeborene Verengung in der Aorta hatte (außer mein Vater, von dem ich das geerbt hatte). Sie wurde schon als Baby operiert und würde nun einen Stent in eine neue Engstelle bekommen. Ihre Gelassenheit und Zuversicht beruhigten mich sehr.

Komm mit ins Zauberland

Auf der Kinderstation ist alles schöner. Ein süßes Foto einer Eisbärenfamilie erinnerte an meinem Bettende daran, dass ich ab 2 Uhr nichts mehr essen und ab 5 Uhr nichts mehr trinken dürfte. Mittwochmorgen bekam ich eine Infusion mit Nährlösung, damit Hunger und Durst gar nicht erst aufkamen.

Kurz nach 8 Uhr schoben mich zwei Schwestern in meinem Bett hinüber ins Herzkatheterlabor. Die Tür öffnete sich umrahmt von einer leuchteten Lichterkette und ein gut gelauntes Herzkatheterteam erwartete mich. Ich bin Kathi. Und ich bin Franzi. Wir sind die ganze Zeit bei Ihnen und passen gut auf Sie auf.

Wie nett ist das denn!!!

Die obligatorische Frage nach Allergien verneinte ich und erwähnte nur meine Pollen-, Katzen- und Pferdeallergie. Das Pferd ist auf der Koppel und hat gerade Auslauf. Die liebevolle Kinderbehandlung tut Erwachsenen auch so gut!

Ich vergaß völlig, nervös zu sein und scherzte mit. Behutsam wurde ich in das “Labor” geschoben, mein Bett hochgefahren, damit ich bequem auf die Behandlungsliege wechseln konnte. Sofort wurden meine Beine mit angewärmten Tüchern bedeckt. Wie verloren war ich mir dagegen im Erwachsenen-Herzkatheterlabor vorgekommen und wie hatte ich geschlottert.

Nur freundliche Gesichter, die mit mir redeten und mir so viel Vertrauen gaben. Mir wurde das erste Beruhigungsmittel injiziert. Dann war ich weg.

Hallo Frau Schauer! Es hat alles erfolgreich geklappt!

Erfolgreich! Geklappt! Innerlich scannte ich meinen Körper ab. Kein Brustschnitt! An der Leiste war was und in der Ellenbeuge. Alles gut! Es ist alles gutgegangen!

Es gibt kein Wort, das mein Gefühl ausdrücken kann. Erleichtert. Dankbar. Glücklich.

Franzi: Dann können Sie ja bald einen schönen Urlaub in Griechenland oder Dänemark machen, wo Sie so gern hinfahren.

Ich: Woher wissen Sie das?

Franzi: Das haben Sie mir erzählt!

Totaler Filmriss. Ich möchte nicht wissen, was ich noch alles erzählt habe.

Alles gutgegangen!

Vier Stunden hatte der Eingriff gedauert. Meine Familie benachrichtigte ich mit einer erlösenden WhatsApp. Mein Mann machte sich sofort auf den Weg zu mir. Wie schön kann ein Wiedersehen nach ein paar Stunden sein! Unsere Tochter bekam ein Foto von mir nach Prag. Auch wenn ich total verkabelt, müde lächelnd in meinem Krankenhausbett lag, hat sie sich so über ein Foto von mir gefreut wie schon lange nicht mehr. Für sie war es schwer, das alles so weit weg von uns zu erleben.

In der Klinik schickte mein Mann kurze Nachrichten von meinem Handy an liebe Freunde, die mitgefiebert hatten. Das Tippen fiel mir schwer, da ich an beiden Händen Zugänge hatte, die fest bandagiert waren und den linken Arm kaum beugen konnte wegen eines festen Druckverbands. Die linke Ellenbeuge und die rechte Leiste waren für den Katheter punktiert worden. Aufstehen durfte ich die nächsten 20 Stunden nicht. Auch die rechte Leiste hatte einen festen Druckverband und sollte nicht belastet werden. Das rechte Bein musste ich stillhalten.

Wie gut können Salzstangen schmecken, als ich wieder essen durfte. Tee tat meinem Hals gut, der total rau war. Während der Behandlung musste ich wohl wieder ein Schluckecho bekommen haben. Ich erholte mich vorbildlich. Anfangs überwachte eine Schwester engmaschig Blutdruck, EKG und Sauerstoffsättigung. Den Nachmittag verbrachte ich glücklich vor mich hindösend.

Mein Angstkloß im Bauch hatte sich aufgelöst. Ich spürte dagegen ein regelrechtes Rauschen durch meinen Körper. Es war, als ob sich mein Blut bereits neue Bahnen suchte.

Ich könnte jetzt detailliert erzählen, welche Überraschungen ich im Paralleluniversum Krankenhaus noch erlebt habe, wie’s in unserem Zimmer zuging, kurz nachdem ich vom Herzkatheter zurückkam, wie eine Gruppe Studierender an meiner geduldigen Zimmernachbarin übte, Herztöne zu hören und den Puls zu messen, wie ich eine zusätzliche Nacht im Krankenhaus verbringen musste, da meine Leiste zu geschwollen und eine Thrombose ausgeschlossen werden sollte, wie mich eine Wassersperre von 20 bis 23 Uhr überraschte, als ich einfach nur meine Zähne putzen wollte. Das Schlimmste war mitzuerleben, wie meine Zimmernachbarin nach ihrem Eingriff als Notfall noch einmal einen Herzkatheter bekommen musste, da es bei ihr zu Blutungen gekommen war.

Er war gut, wieder nach Hause zu gehen.

Ich bin eine EmaH

… eine Erwachsene mit angeborenem Herzfehler. Mich hat die ganze Geschichte wieder mit meinem angeborenen Herzfehler konfrontiert und ich hörte das erste Mal von EmaH. Schätzungsweise leben 300.000 EmaH in Deutschland. Etwa 200.000 von diesen EmaH lassen ihren Herzfehler nicht mehr von einem Spezialisten kontrollieren. Ich war eine davon. Ich war quasi verloren gegangen und habe mich in falscher Sicherheit gewogen, weil mein Herzfehler ja in der Kindheit erfolgreich korrigiert wurde. Ich betrachtete mich als geheilt. Die Kontrollabstände waren immer größer geworden. Als mit 28 der Krebs dazwischen kam, ließ ich die Kontrollen gern von meinem Hämatologen, einem genialen “Ultraschaller” übernehmen. Ich war ja froh um jeden Arztbesuch weniger.

Aber EmaH-Kardiologen haben eine Zusatzausbildung. Sie haben fundierte Kenntnisse über die angeborenen Herzfehler, über die durchgeführten Behandlungen sowie über neueste interventionelle und operative Techniken. Durch die Erlebnisse der letzten Wochen habe ich akzeptiert, dass ich so eine EmaH bin. Ab sofort werde ich mich wieder besser um mein Herz kümmern und regelmäßig die EmaH-Ambulanz des Herzzentrums in München für Kontrollen besuchen. Es wurden ja einige Baustellen festgestellt, die beobachtet werden müssen.

Das Leben darf wieder leicht sein

Mal wieder hatte mich das Leben aus der Bahn gekickt. Meine Arbeit lahmgelegt. Meine Projekte und Reisen durcheinandergewirbelt. Es waren nur 18 Tage, die alles auf den Kopf gestellt haben. Zunächst meinte ich noch, mich weiterhin um alles zu kümmern. Ich signalisierte Geschäftspartnern, dass ich bald wieder fit sei. Doch erst im Nachhinein wurde mir klar, wie einschneidend das alles mal wieder war.

So richtig akzeptiert habe ich das erst nach der Herzkatheterintervention. Nachdem ich nun alles überstanden habe, gönne ich mir hier zu Hause richtig viel Erholung. Ich freue mich an jedem Vogelzwitschern, jedem Windhauch und der Ruhe auf unserer Terrasse. Die ersten Tage habe ich einfach nur viel geschlafen. Mein Kreislauf wird jeden Tag stabiler.

Das Leben darf wieder leicht sein. Am schönsten ist das Leben, wenn der Alltag läuft, unterbrochen von kleinen Highlights wie ein Restaurant-, Kino- oder Theaterbesuch, Treffen mit Freunden und Familie oder eine schöne Reise. Das wusste ich vor dieser ganzen Aufregung auch schon. Es war ja nicht das erste Mal, dass sich mir das Leben von seiner schwierigen Seite zeigte. Gerade deshalb habe ich aber auch keine Angst vor den Launen des Lebens. Es ist nicht alles schlecht, auch wenn’s sich gerade so anfühlt. Und es wird auch wieder leichter. Immer.

Inwieweit die Auflösung der Engstelle meine große Herzschwäche, mein eigentliches Problem, verbessert hat, kann erst in ein paar Monaten festgestellt werden. Aber vielleicht merke ich es ja, wenn ich wieder mit Sport anfangen darf.

PS: Von meinem Krankenhauszimmer habe ich den Olympiaturm gesehen. Unser erster längerer Ausflug wieder in die “normale Welt” führte uns auf den Olympiaturm!


7 Antworten zu “Lebenslinien #2 – Zurück im Leben”

  1. Liebe Dorothee,

    ich bin so froh zu lesen, dass alles gut gegangen ist so schön zu lesen, dass sich liebe Menschen um Dich gekümmert haben und Dir Deine Angst lindern konnten. Das ist viel wert. Aber wie sehr würde ich mir wünschen, dass Du das alles nie hättest mitmachen müssen. Mir kommen manchmal die Tränen, wenn sich Menschen über irgendwelche Nichtigkeiten aufregen und denke mir, dass sie gar nicht wissen, wie gut die es haben. Denn Gesundheit ist und bleibt das höchste Gut.
    Ich wünsche Dir alles Liebe und dass Deine Leichtigkeit Stück für Stück zurück kommt
    Fühl Dich lieb umarmt und pass auf Dich auf

    Melanie

    • Es rührt mich sehr, wie sehr du mitgefiebert hast. Du bist auch so ein lieber Mensch, der sich um mich gekümmert hat. Deine lieben Gedanken und Wünsche haben mir sehr geholfen.
      Danke dir von Herzen, liebe Melanie!

  2. Liebe Dorothee,
    es tut mir so leid, dass du so viel durchmachen musstest. Und ich freue ich unglaublich, dass alles gut gelaufen ist! Du bist so stark und so tapfer und ich finde es toll, dass du uns auf deinem Blog an deiner unglaublichen Geschichte teilhaben lässt. Ich fühle wirklich mit dir und freue mich schon darauf dich bald wieder fit und lächelnd wieder zu sehen. Fühl dich feste gedrückt!
    Alles Liebe,
    Tanja

    • Danke dir, liebe Tanja, für dein großes Mitgefühl! Ich freue mich schon darauf, mit dir wieder die kleinen großen Momente des Lebens wie ein gemeinsames Frühstück zu feiern!
      Alles Liebe, Dorothee

      • Liebe Dorothee,
        es sind wirklich die vielen kleinen großen Momente die zählen. Unser gemeinsames Frühstück war sehr schön!
        Ich freue mich schon dich wieder auf dem Sommerfest zu sehen!
        Liebe Grüße,
        Tanja

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